The final recap oder: Ein subjektiver Konferenzbericht von der re:publica 2013
Menschen, die nicht täglich mit Online-Medien, mit digitalen Konversationen, mit Blogs und Facebook-Seiten, mit Followern und Fans, mit Tweets und Posts und den vielen anderen Begriffen und Themen rund um die „Kommunikation 2.0“ zu tun haben, ist es gar nicht so einfach zu erläutern, was eine Konferenz wie die re:publica eigentlich ist. Da ich es mir zum Beruf gemacht habe, diese Gegenstände zu erläutern und in die ganz praktische Kommunikationsarbeit für Institutionen und Unternehmen zu integrieren, möchte ich mit einem Rückblick auf die re:publica gleich mehrere Dinge versuchen: Die Konferenz näher bringen, die (erlebten) Themen bündeln, eine Art Fazit ziehen – und eine Wertung des Erlebten vornehmen.
Eine so vielfältige, komplexe, damit schwer fassbare, in Teilen widersprüchliche und doch faszinierende Veranstaltung wie die re:publica in einer kompakten Rückschau zu dokumentieren, heißt einen Pudding an die Wand zu nageln. Um dennoch so etwas wie einem Fazit näher zu kommen, empfiehlt sich als Ansatz eine subjektive Rückschau auf das ganz persönlich Erlebte. Hier also ein Bericht zur Konferenz, die vom 6. bis zum 8. Mai 2013 in Berlin stattfand – zum siebenten Mal, mit mittlerweile 5.000 Teilnehmern und 350 Rednern.
Das Subjektive beginnt bei der Auswahl der Sessions und Vorträge, die man besucht und denen man zuhört. Hierfür standen dem Besucher der re:publica diverse Hilfsmittel zur Verfügung: Die Website mit allen Infos zu Referenten und Themen, tägliche Infoflyer, ein PDF mit einer Übersicht über alle drei Tage und die #rp13-App, die mit einem Fingerwisch das Programm zugänglich und organisierbar machte. Damit ließ sich der ganz persönliche Konferenzkalender schnell erstellen: Themen aussuchen, favorisieren und die Favoriten in den eigenen Kalender übertragen.
Da es neben den Vorträgen bei der re:publica in erheblichem Maße darum geht, bestehende Kontakte auszubauen, Menschen kennen zu lernen und Gleichgesinnte zu treffen, wird der eigene appbasierte Konferenzkalender so schnell zur Makulatur wie seinerzeit der Stundenplan zu Beginn eines Uni-Semesters. Denn die Begegnungen und Gespräche vor den Vortragssälen und auf dem großen Vorplatz vor dem eigentlichen Veranstaltungsort sind das Salz in der Suppe und nehmen die meiste Zeit ein. Das Pausenhof-Gespräch beim Klassentreffen der Blogger und Onliner – das ist das Herz der re:publica.
DIE SESSION-LOTTERIE ODER: WIE FINDE ICH DIE RICHTIGEN VORTRÄGE?
Wer sich von diesen Gesprächen lösen kann, steht vor der Wahl aus einer ganzen Reihe an Themenfeldern: Business & Innovation, Science & Technology, Politics & Society, Research & Education, Culture und Media. Alles Englisch? Jein, die re:publica ist die mittlerweile wichtigste Konferenz zum Thema Online-Kultur und digitales Leben (einige sagen sogar „die wichtigste Internetkonferenz“) in Deutschland und bietet auch internationalen Rednern ein Podium. Nicht wenige Vorträge und Workshops fanden auf Englisch statt und die Zahl der aus dem Ausland angereisten Referenten ist beachtlich.
Bei der Auswahl der Vorträge und Sessions bedarf es stets eines glücklichen Händchens und das ist immer auch ein bisschen „Session-Lotterie“: Vermeintliche Top-Vorträge stellen sich mitunter als Flops heraus und das Nischenthema, das von einem bis dato nicht bekannten Referenten präsentiert wird und in das man eher zufällig geraten ist, kann sich als Highlight der Konferenz entpuppen. Ein bisschen krankt die re:publica trotz ihrer mittlerweile vorangeschrittenen Professionalisierung an diesem Phänomen – bietet unter dem Strich aber hochwertige Inhalte. Es ist der re:publica nach wie vor hoch anzurechnen, Raum für eine breite Themenpalette bereit zu stellen und keine inhaltliche Limitierung vorzunehmen – damit lässt sie Platz für Querdenker, neue Impulse und zeigt sich als Probierfläche für neue Ideen. Nichtsdestotrotz: Ein wenig mehr Qualitätsmanagement bei der Auswahl der Vorträge und Speaker könnte nicht schaden (das merkt – unter anderem – Thomas Knüwer in seiner Rückschau zur re:publica 2013 an).
VON KEYNOTE SPEAKERN, TREIBERTHEMEN UND UNGENUTZTEN CHANCEN
Bei einem zentralen Thema der diesjährigen re:publica, das so konkret nicht im Programm stand (weil es dort nicht stehen konnte aufgrund der Aktualität), hat man sich aber der eigenen Formatierung unterworfen und durch eine gewisse Unflexibilität die Chance genommen, die mediale Agenda nachhaltiger und wirksamer zu besetzen, als das mittlerweile ohnehin schon der Fall ist. Die Ankündigung der Telekom, von 2016 an ihre DSL-Anschlüsse ab einer „verbrauchten“ Datenmenge von mehr als 75 GB zu drosseln, hat im zeitlichen Vorfeld der re:publica für erhebliche Diskussionen gesorgt. Konferenz-Mitinitiator Markus Beckedahl, dessen Thema neben anderen netzpolitischen in besonderem Maße die Netzneutralität ist – also der ungehinderte Zugang zum Internet ungeachtet technischer oder wirtschaftlicher Restriktionen – , hätte diese Steilvorlage für eine intensive Kampagne mit der re:publica als Plattform nutzen können. Er tat es aber nicht. Vielmehr beließ er es bei seiner „normalen“ Session zum Thema „Net Neutrality“, in deren ersten Hälfte Ben Scott vom Open Technology Institute at the New America Foundation in Washington DC mehr oder minder bekannte Positionen zum Thema (gut) referierte, was dann durch ein Podium mit Scott, Beckedahl und Hannah Seiffert des eco-Verbandes ergänzt wurde.
Hier hätten kurzfristig gewonnene Vertreter der Content-Industrie, die für den Transport ihrer Inhalte an weiterhin hohen Bandbreiten und Flatrates interessiert sein sollten, mit auf auf das Podium gehört, hier hätte man den Versuch unternehmen sollen, Telekom-Vertreter der höheren Entscheidungsebene auf das Podium zu bringen oder ihre erwartbare Weigerung, hier mitzumachen, gut kommunizieren können – um dann eine medial extrem beachtete Diskussion führen zu können. Statt dessen verwies Beckedahl darauf, dass das Thema „Drosselkom“ ja so spät aufkam, dass das Konferenzprogramm schon gedruckt war (wohlgemerkt: wir sprechen von einer Online-Konferenz mit einer Website, die man in Bezug auf den Inhalt und die Besetzung eines Panels jederzeit aktualisieren kann – Print als Grund für ein Versäumnis mutet hier schon seltsam an). Zudem gab Beckedahl coram publico zu, für das Podium kein Konzept zu haben.
Aus meiner Sicht das Versäumnis der Konferenz schlechthin – einer der Initiatoren und Meinungsführer zum Thema vermag es bei einem seiner Kernanliegen, für das die „Gegenseite“ auf dem Silbertablett Diskussionsanreize liefert, nicht, die Gunst der Stunde zu nutzen. Das ist schon geradezu ärgerlich. Dazu kommt noch, dass parallel zur „Netzneutralität“-Session dem Hauptsponsor Daimler im größten Saal die Gelegenheit geboten wird, in bester PR-Manier über die Zukunft der Mobilität zu sprechen – was interessanter Weise mehr Teilnehmer anzog als Beckedahls Session. Immerhin, kein Geringerer als der Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche war zugegen, das zeigt die Wertschätzung gegenüber der re:publica – aber von der Konferenz-Programmierung her hätte man ungeschickter diese beiden Sessions nicht terminieren können.
Dass die eigenen Themen trotz der Vielfalt der bespielbaren digitalen Kommunikationskanäle wiederholt nicht gekonnt genug penetriert und beworben werden, hat an anderer Stelle ein weiterer prominenter Protagonist angemerkt. In einem viel beachteten, aber auch diskutierten Blogpost hat Sascha Lobo, einer der bekanntesten Blogger Deutschlands, vor wenigen Wochen seinem Unmut Luft verschafft: „Wir haben es zu viel zu selten – wenn überhaupt – geschafft, Leute außerhalb der Netzgemeinde zu erreichen. Niemandes Mutter weiß, was das Leistungsschutzrecht ist, und es wäre unsere Aufgabe gewesen, es zu erklären und die Erklärung zu verbreiten.“ ] Dies gelte nicht für das Thema Leistungsschutzrecht, sondern für andere netzpolitische Themen auch. Mit diesem Versäumnis beschäftigte sich Lobo konsequenter Weise auch in seinem „Überraschungsvortrag II“ genannten Vortrag am ersten Abend der re:publica 2013 – innerhalb kürzester Zeit ist es quasi zur Tradition geworden, dass Lobo einen kurzweiligen, unterhaltsamen Vortrag zur Einstimmung hält.
Doch diesmal ist es trotz der Gags und der bekannt launigen Vortragsweise Lobos ein wenig anders. Die mit ihrem roten Irokesenschnitt auffällige Ikone der Online-Szene führt die Wut über das Unvermögen, die eigenen Themen transportieren zu können, im Vortrag fort. Lobo positioniert sich als Realpolitiker – dabei ist die re:publica kein Parteitag und doch genau dieser Eindruck drängt sich in diesem Moment auf: Hier spricht ein prominenter Vertreter der „Netzgemeinde“ (ein Begriff, den Lobo selbst eigentlich ablehnt, den er aber als Arbeitsbegriff verwendet) und drängt auf eine gezieltere Vorgehensweise und Ansprache des politischen Systems, um die Ebene der „Hobbylobby“ zu verlassen und ernsthaft mit denjenigen zu netzpolitischen Themen ins Gespräch zu kommen, die derzeit und erkennbar nach der anstehenden Bundestagswahl am Ruder sein werden. Ganz konkret fordert Lobo, dass man dann eben Angela Merkel die eigenen Themen so erläutern muss, dass die Kanzlerin sie versteht und erkennt, was sie davon haben könnte – die entsprechende Vortragsfolie heißt „Was würde Merkel überzeugen?“
Der eigenen Sache verleiht Lobo dann auch noch ein Logo, „ein Logo für das Internet“, wie er selbst sagt (ein von Klammern eingerahmtes Doppelkreuz – mithin das Zeichen für die Hashtags in Twitter-Botschaften). Und schließlich führt er seinen Appell aus dem Jahre 2012 fort: Vor einem Jahr forderte Lobo, dass man sich durch den intensiveren Einsatz von Weblogs das (soziale) Netz zurückerobern solle. Nun bietet er dem Publikum, den Konferenzbesuchern und der „Netzgemeinde“ mit „Reclaim Social Media“ einen technisch basierten Ansatz, die eigenen Inhalte, die sich auf die proprietären Plattformen wie Facebook, Youtube & Co. verteilen, auf einer eigenen Website zusammenzuführen. Kernstück ist eine Erweiterung für das Blog-System WordPress, das weltweit am häufigsten eingesetzt wird (und OpenSource-Software ist, also für jeden zugänglich). Dieser tatsächlich interessante Ansatz, der zusammen mit dem grundlegenden Appell und dem Gag eines Logos für die eigene Bewegung tatsächlich so etwas wie ein inhaltliches Programm darstellt, verpufft irgendwie in der großen Halle 1 der re:publica 2013 – und Lobo stellt das dann am Ende seiner Rede auch ein wenig ironisch-enttäuscht fest, nicht ohne das schnell zu überwinden und auf den Kern seines Anliegens zurückzukommen: „Nachdem Euer tosender Applaus mir zeigt, dass ich genau richtig lag mit dieser Entwicklung und auch mit der Idee, an den Scherzen an dieser Präsentation zu sparen, und alle Vorbereitung in die Technologie zu stecken, möchte ich mein Versprechen vom Anfang wahrmachen [...| und Euch entlassen mit dem Titel des Vortrags und Euch aufrufen: Ich glaube, dass wir tatsächlich „Machen!“ müssen und jetzt seid Ihr an der Reihe.“ Zu früh, aus meiner Sicht viel zu früh, gehen dann die ersten Zuhörer, weil die „Show“ ja zu Ende ist – Fragen zum präsentierten Ansatz gibt es dann keine, obwohl sich hier hervorragend hätte diskutieren lassen, aber obwohl es erst der erste Konferenztag der re:publica 2013 ist, möchten sich die meisten Teilnehmer dann doch lieber der Vernetzung untereinander widmen. Und wenige, zu wenige scheinen begriffen zu haben, was hier passiert ist: Einer der ihren, einer ihrer Wortführer hat ein Programm formuliert und sogar ein Instrument zur Umsetzung entwickelt und vorgestellt – aber es scheint nicht das zu sein, was man eigentlich will.
Das ist umso bemerkenswerter, als dass auch Lobo in seinem Vortrag an nicht gerade wenigen Stellen an der politischen Kraft, die die netzpolitischen Themen derzeit naturgemäß vertritt und versucht in eine öffentliche Diskussion zu bringen, deutliche Kritik formuliert – die Piratenpartei ist bei ihm nicht wohlgelitten und es dürften sich nicht wenige im Saal gefunden haben, die ebenfalls enttäuscht von der Performance der Piraten sind. Das Heft jetzt selbst in die Hand nehmen? Mit einem realpolitisch-pragmatischen Ansatz, wie Lobo ihn präsentiert hat? Das scheint dann doch nicht das vorderste Interesse zu sein. Und das verwundert dann doch enorm. [Das Online-Medien-Echo zum Vortrag als Link-Parade, eher selektiv: Aufzeichnung des Vortrags bei YouTube | Fazit zur re:publica bei tagesschau.de "Einmischen – zur Not auch analog" mit Fokus auf Lobos Vortrag | Bericht bei crowdmedia.de]
CROWDSOURCING IN DER ASTRONOMIE, WISSENSVERTEILUNG UND -MEHRUNG IM NETZ – UND EIN VORTRAG ZUM THEMA BILDUNG ALS ÄRGERNIS
Aber natürlich erlebt man auch eine Unmenge an Leidenschaft der Vortragenden auf der re:publica, die eigenen Themen rund um Netzpolitik, Netzkultur, gesellschaftliche Spannungsfelder und die Bewältigung von Fallstricken der Online-Kommunikation zu transportieren. Sie sind die Essenz der Konferenz – und selbst wenn man als kritischer Chronist, der eine programmatisch-politische Brille aufhat, so manche der zentralen Sessions als vertane Chancen empfindet, so geht man nach dem Besuch der ausgesuchten Vorträge doch als zumeist als reicherer Mensch nach Hause.
Das liegt zum Beispiel an Wissenschaftlerinnen wie Carolina Ödman-Govender aus Südafrika, die ihrer Freude, an einer Konferenz wie der re:publica teilnehmen zu dürfen, Ausdruck verleiht, als sie mit ihren Ausführungen zum Thema „Crowdsourced Astronomy“ beginnt: Sie dankt ihrem Doktorvater, dass er ihr diese Chance ermöglicht hat. Nicht weniger Enthusiasmus verströmt sie bei ihrem Vortragsthema: Heute ließen sich astronomische Fortschritte ohne die Einbeziehung von Hobbyastronomen und Netznutzern in aller Welt nur noch schwerlich realisieren – die Kombination von Rechenleistung einzelner PCs, die Beobachtungsbeiträge von „Garagenhof-Astronomen“ und die Leidenschaft semi-professioneller Datensammler bereichern die Astronomie. Und das Rückgrat der hierfür nötigen Kommunikation ist das Internet. Ein zweiter Aspekt, der ihr am Herzen liegt, ist die Weitergabe des so geschöpften Wissens an die nachwachsende Generation: Das digitale Lernen, zumal onlinegestützt, sieht sie als Säule eines Bildungsprogramms, das Kindern und Jugendlichen neue Perspektiven eröffnen soll (Video zum Vortrag hier bei YouTube).
Apropos Bildung: Das Thema stand im Mittelpunkt eines – wie auch immer man ihn letztlich bewerten mag – bemerkenswerten Auftritt zweier weiterer re:publica-Initiatoren; die Rede ist von Tanja und Johnny Haeusler, bekannt geworden durch den Blog Spreeblick – zusammen mit Markus Beckedahl haben sie 2007 die re:publica aus der Taufe gehoben und zu dem gemacht, was sie heute ist.
Angekündigt war für den zweiten Konferenztag eine halbstündige Session, in der die Haeuslers über ihr Buch „Netzgemüse – Aufzucht und Pflege der Generation Internet“ sprechen wollten. Dem Publikum wurde zu Beginn mitgeteilt, dass die Referenten kurzfristig von ihrem Konzept abgewichen seien – und den Anwesenden wurde dann in einer Viertelstunde eine Performance geboten, die im Nachhinein viele Befürworter fand – aber auch nicht wenige Kritiker. Mit einem so genannten Rant, einer „Wutrede“, verschafften sich die Haeuslers Luft über die Unzulänglichkeiten und Barrieren im aktuellen Bildungssystem, die ihrer Meinung nach den Erfordernissen der Zukunft nicht entsprechen und mit Blick auf die Generation Y als gestrig erscheinen müssen.
Während des Vortrags (Video findet sich hier, Infos finden gibt es hier) verließen einige Zuschauer den Saal und auch ich erwägte kurz, das Ganze vorzeitig hinter mir zu lassen. Denn auch eingedenk der gewählten Darstellungsform, die sich naturgemäß nicht mit sachlicher Argumentation befassen muss, empfand ich es als Frechheit, dass hier zwei der Hauptakteure der Konferenz ihre Session für etwas benutzten, was durchaus auch eine mehr oder minder peinliche Rede auf einem Elternabend hätte sein können. Allzu wohlfeil und anbiedernd wurden die „Argumente“ vorgebracht – und die Session war nach Hälfte der angesetzten Zeit bereits vorbei. Man möchte wissen, was die Kinder der Haeuslers dazu gesagt hätten – man hat den Eindruck, es könnte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Satz wie „Mensch, Mama, Papa, das ist doch peinlich…!“ gewesen sein.
Die Reaktionen in den digitalen Kanälen sprachen von „Begeisterung“, signalisierten Zustimmung und oft wurde das Wort „Gänsehaut“ verwendet. Die hatte ich auch – aber ob der Vehemenz des Vortrags und der Tatsache, dass hier durchaus wichtige und diskussionswürdige Aspekte angesprochen, sie aber zu undifferenziert vorgebracht wurden, habe ich mich eher fremdgeschämt. Beim stern-Ableger Nido wird diese Ambivalenz des Vortrags betont – und zur Diskussion aufgerufen). Ein weiteres Mal, dass ich den Eindruck hatte, dass re:publica-Initiatoren wichtige Themen falsch präsentierten und die Chance vergaben, sich adäquat Gehör zu verschaffen – während Sascha Lobos durchaus interessanter Ansatz und Aufruf ein wenig verhallte. Ein Ärgernis.
BILDUNG: NATÜRLICH EIN ZENTRALES THEMA – ABER BITTE JENSEITS EINER UNDIFFERENZIERTEN WUTREDE
Dass die (digitale) Zukunft des Lernens ein wichtiges Thema ist und dass man hierzu hervorragende Vorträge hören konnte, zeigte sich nahezu als Gegenpol am abschließenden Mittwoch in Saal 6. Der Pädagoge und Buchautor Jöran Muuß-Merholz nahm eine Bestandsaufnahme zum Thema „Die digitale Revolution des Lernens“ vor – und stieg mit der These ein, dass sie gescheitert sei. Er selbst bezeichnete seinen Vortrag als „kathartische Gegenposition zu mir selbst“ und zeigte Punkt für Punkt, warum die Hoffnungen und Verheißungen des elektronisch gestützten Lernens in den letzten zwei Jahrzehnten zumeist versandet sind oder an welchen Stellen es keinen wirklichen Fortschritt gegeben hat. Diese Fundamentalkritik hob sich wohltuend von der Haeusler-Performance ab, weil sie analytisch vorging. Ergebnisse der Betrachtungen Muuß-Merholz‘ u.a.: Statt einer Demokratisierung von Lernen und Wissen hat sich eine digitale Elite entwickelt; in der Didaktik muss eher von einer Konterrevolution gesprochen werden; die lernende Organisation hat sich als Mythos herausgestellt; bei den aktuellen Lerntechnologien sei von einer „Eigentlichkeit“ zu sprechen – eigentlich funktionieren sie ja, aber…
Die detaillierte Gegenüberstellung ehemaliger Hoffnungen und heutiger Realitäten ist über den Vortrag hinaus neben der Kritik, die sie sein will, zugleich eine Checkliste dafür, was im Einzelnen zu optimieren ist und woran Bildungssystem und Politik, aber auch Eltern und Schüler im Schulterschluss arbeiten sollten. Ein hervorragender Beitrag, in Darbietung und Inhalt.
Apropos Schulterschluss: Den vermisst man völlig an der Theodor-Storm-Schule in Husum. Um den durchaus denkbaren Negativ-Effekten der digitalen Überall-Kommunikation bei jugendlichen Schülern an diesem schleswig-holsteinischen Gymnasium zu begegnen, dachte sich die Schulleitung etwas sehr Konsequentes aus: Ein komplettes Medienverbot an der Schule, zu lesen in der Hausordnung: „Die Nutzung elektronischer Medien jeglicher Art ist grundsätzlich für Schülerinnen und Schüler auf dem gesamten Schulgelände untersagt. Damit ist auch das Anfertigen von Bild- und Tonaufnahmen nicht gestattet.“
Abiturient Michel Schröder von der Schülervertretung der Theodor-Storm-Schule berichtete in seinem Vortrag auf der re:publica davon, wie er und seine Mitschüler ihrem Protest gegen das Verbot Luft verschafften. Grundlegend sahen sie hier eine Beschneidung ihrer kulturellen Teilhabe, einer zeitgemäßer Kommunikation und auch ihrer grundgesetzlichen Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und ihrer Informationsfreiheit. Mit im Netz organisierten Flashmobs, einer eigenen Facebookseite und Informationsveranstaltungen starteten sie einen öffentlich wahrnehmbaren Diskurs darüber, wie weit der vermeintliche Schutz von potentiellen Cybermobbing-Opfern gehen sollte. Prävention zuungunsten des sinnvollen Einsatz zeitgemäßer Kulturtechniken und Kommunikationsformen? Das, so Schröder in seinen Ausführungen, ginge dann doch zu weit. Diejenigen, die sich außerhalb von Normen und Wertekanon bewegen, machen das auch trotz eines Verbots, oder wie die Schülervertretung es formuliert: „Wer mobben will, schafft das auch so.“
Bezeichnend war es dann zu hören, dass die nachwachsende Generation eben nicht lediglich das schiere Recht auf Gerätebenutzung einfordert – sondern darüber hinaus herausstellt, dass sie selbst ein klares Bild von der Relevanz digitaler Technologien im Bildungsprozess hat. Denn Medienkompetenz überwinde eben Fächergrenzen und gehöre daher systematisch in den Unterricht integriert; Cybermobbing müsse öffentlich angeprangert und nicht vertuscht werden; nur eine Schule, die neue Medien fördert, statt sie auszusperren, sei vorwärtsgerichtet. Schließlich, so Schröder, gehe es den Schülern darum, Kompetenzvermittlung mit zeitgemäßen Instrumenten vorzufinden – und sie nicht einfordern zu müssen. Der Fall ist natürlich im Netz gut dokumentiert.
Hier spricht die Generation Y also selbst – und schafft das meiner Meinung nach differenzierter, konkreter und zielgerichteter als der Haeusler-Rant es zu erreichen vermochte. Zugleich ist aus Sicht der „Alten“ festzustellen (Als 1969 Geborener gehöre ich mittlerweile demographisch betrachtet in die Alterskohorte der Eltern): Es gibt die überaus berechtigte Hoffnung, dass die Jugendlichen von heute kompetent und gestaltungsbereit gesellschaftliche Themen anpacken und einen Beitrag zur Anpassung des Bildungssystems leisten möchten. Ich denke, dass man damit eher vorankommt, als mit einer reinen Auflistung des bedauernswerten Status quo.
VON ASIEN LERNEN HEISST (SPIELE) GEWINNEN LERNEN
Dass Deutschland hinsichtlich der Entwicklung hin zu einer – jetzt mal unterstellt im Grunde funktionalen und die generelle gesellschaftliche Entwicklung fördernde – „digitalen Gesellschaft“ noch Hausaufgaben zu machen hat, steht außer Frage. Das wurde bei Christoph Deegs Vortrag „Gaming-Kultur in Asien – Lernkultur in Deutschland?“ aus einer weiteren Perspektive extrem deutlich. Deeg berichtete von seiner Forschungsreise im Auftrage des Goethe-Instituts, die ihn nach China, Japan und Süd-Korea führte. Die Fragestellung lautete: Welchen Einfluss hat Gaming auf Gesellschaft, Kultur, Arbeit und Bildung in diesen Ländern? Was können wir vom Umgang mit Gaming lernen, welche Möglichkeiten haben wir in Deutschland und wie müssten die nächsten Schritte aussehen, die sich ableiten lassen? Deeg führte aus, dass in Asien das Video- und Computerspielen eine fest verankerte Rolle in der Alltagskultur der Menschen hat und als Indikator für die Digitalisierungsstufe einer Gesellschaft verstanden werden kann.
Insbesondere in Süd-Korea ist nachvollziehbar, dass das Erkennen der sozialen und kulturellen Auswirkungen des Gaming durch die Politik in konkrete Maßnahmen münden kann: Seit dem 1995 in Kraft gesetzten „Framework Act on Information“ wird das Land gewissermaßen digitalisiert – Hochgeschwindigkeitszugänge für jeden Bürger, Ausstattung von Klassenräumen mit zeitgemäßer Hardware und Software sowie Internetschulungen für ein Fünftel der Bevölkerung der insgesamt 50 Millionen Menschen in Süd-Korea machen deutlich, wie ernst es der süd-koreanischen Regierung ist. 20000 Internet-Cafés, so genannte PC-Bangs, stellen flächendeckend sicher, dass soziale Treffpunkte im ganzen Land vorhanden sind, in denen das Surfen im Netz und Online-Gaming möglich ist. Spielen ist hier nicht Selbstzweck. Es ist zum einen ein starker Wirtschaftszweig, es wird andererseits als Lehrmittel für die Informations- und Medienkompetenz eingesetzt und stärkt kollaboratives Denken und Handeln. Dabei wird Gaming von der konservativen Gesellschaft in Süd-Korea noch nicht einmal vollständig akzeptiert – aber die staatliche Vorgabe in Form des digitalen Masterplans führt dazu, dass selbst kritische Eltern ihre Kinder unterstützen, getragen vom Willen, aus dem Mainstream und den neuen sozialen Konventionen nicht auszubrechen, um Aufstiegschancen zu wahren.
Süd-Korea als Role-Model für die Digitalisierung Deutschlands? Daddeln als Kultur- und Lernparadigma? So einfach lassen sich die Erkenntnisse aus Asien sicher nicht übertragen. Aber wichtige, gewichtige Impulse lassen sich schon erkennen: Gaming kann mehr als nur Spielen sein, ist als durchaus auch bei uns real existierender Kulturfaktor eine gute Basis für weitere Maßnahmen und sollte als elementarer Bestandteil einer digitalen Gesellschaft für Schul- und Lehrkonzepte erwogen werden (die Folien zum Vortrag gibt es bei Slideshare zum Herunterladen).
FAZIT DER RE:PUBLICA – EIN ZUM SCHEITERN VERURTEILTER VERSUCH?
Die Vielfalt der Themen re:publica ist das, was man in Königshäusern als Kronjuwelen bezeichnen würde. Diese breite Palette an Inhalten mit einem weiter wachsenden Qualitätsanspruch an Referenten und ihre Vorträge so zu kombinieren, dass über den Teilnehmerkreis und Fachmedien hinaus die Konferenz gesellschaftliche Relevanz entwickeln kann, sollte das Ziel der Fortentwicklung der re:publica sein. Ich wünschte mir, dass selbstkritische Impulse, wie sie Lobo und Muuß-Merholz formuliert haben, dafür sorgen, dass man liebgewonnene Paradigmen und Mantras überdenkt und mit anderen Stakeholdern in einen zielführenden Dialog tritt – auch, wenn das realpolitische Kompromisse zur Folge hat. Netzpolitik als ein Strang der Diskussionen auf der re:publica sollte noch mehr erkennbares und erlebbares Gewicht bekommen und sich professionalisieren und die Ebene der „Hobbylobby“ überwinden. Dabei kann ruhigen Gewissens auf die nachwachsende Generation gesetzt werden, die Netzzugang und Gaming nicht (nur) als Freizeitvergnügen sieht, sondern vielmehr an einem ernst gemeinten Kompetenzerwerb und -ausbau interessiert ist.
Dreh- und Angelpunkt wird die öffentliche Positionierung der re:publica sein. In der Außenwahrnehmung findet oft noch eine ausgrenzende Berichterstattung statt, weil auch die Konferenz selbst ausgrenzend wirkt und das hat Folgen. Es gibt dann diese ärgerlichen weil der Sache nicht gerecht werdenden Berichte zur Konferenz, die vor allem eines deutlich machen: Dass einen Graben gibt zwischen denen, die schon jetzt über die Zukunft der (digital vermittelten) Kommunikation und Gesellschaft sprechen, wenn auch wie dargestellt noch oft zu unpolitisch und ungelenk. Und auf der anderen Seite des Grabens stehen diejenigen, die als Vertreter der „traditionellen“ Medien (wenn auch in Form von Online-Beiträgen) mit wohlfeilen Schmähungen der „digitalen Elite“ (die sich selbst nicht so nennt) die Bewegung desavouieren und als hermetisch abgeschlossenen Zirkel betrachten (wie zum Beispiel bei Cicero.de von Christian Jakubetz). Angenehmer sind da schon die sachlichen Auseinadersetzungen, die dennoch aufzeigen, wo es Optimierungsbedarfe gibt (wie zum Beispiel bei SPIEGEL online)
Wenn sich die Chronisten mit der Wahrnehmung des allzu geschlossenen Zirkels mal nicht mächtig geirrt haben werden in einer Rückschau: Junge Menschen wie Michel Schröder aus Husum zeigen längst, wo die Reise hingeht. Hoffen wir, dass die re:publica sich weiter professionalisiert, die Akteure sich besser als gezeigt Gehör verschaffen kann und der Diskurs endlich dort ankommt, wo er hingehört: In die Politik und in gesellschaftliche, vor allem verständlich geführte Debatten, die die Menschen jenseits der „Netzgemeinde“ nicht ausgrenzen, sondern aufschließen.
P.S.: Die menschlich schönste Geschichte im Rahmen der re:publica 2013 trug sich via Twitter und in vielen Postings zu. Facebook-Koryphäe Annette Schwindt, Buchatorin und Beraterin zum Thema, muss Veranstaltungen aufgrund einer Herzschwäche fernbleiben – zu groß sind die Risiken eines Erschöpfungssyndroms. Das ist der Szene bekannt – und doch postete Annette Schwindt in einem Blogpost, wie traurig sie sei, in Berlin nicht dabei sein zu können und dass sie sich über ein paar “Winke-Bilder” als Gruß freuen würde. Der Ball wurde von der Szene sofort aufgenommen – die zahlreichen Reaktionen hat Schwindt auf Storify bzw. in einem weiteren Blogpost zusammengefasst. So bleibt neben der Diskussion weitreichender Themen auf der Konferenz festzuhalten: Die re:publica und das Netz bringen die Menschen zusammen – und integrieren die, die nicht unmittelbar teilhaben können.
P.P.S.: Eine grafische Zusammenstellung der von mir besuchten (weiteren) Sessions und eine kurze Bewertung inklusive Direktverlinkung zu Videos und Infos findet sich als PDF hier.